Offener Brief

Im Sommer 2023 haben wir einen offenen Brief an den Bundespräsidenten geschrieben. Wer möchte, kann gern weiterhin mit unterschreiben. Die Forderungen haben sich nicht geändert!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

vielen Dank, dass Sie in der Öffentlichkeit die Frage nach einem stärkeren Zusammenhalt der Gesellschaft stellen und dabei auch die Rolle der jungen Generation mitdenken. Wir teilen ihre Analyse, dass in unserer demokratischen Gesellschaft zunehmend weniger Orte der Begegnung aus unterschiedlichen Milieus entstehen. Darauf müssen wir eine Antwort finden.

Worin wir Ihnen aber widersprechen müssen, ist die Schlussfolgerung, dass eine soziale Pflichtzeit eine tatsächliche Lösung für dieses Problem darstellt.  Wir sind sicher, dass es einen anderen Weg gibt, der nicht darauf hinausläuft, (junge) Menschen zum sozialen Engagement zu verpflichten. Diese Verpflichtung, so unsere feste Überzeugung, wird am Ende nicht dafür sorgen, dass das von Ihnen beschriebene Zusammenkommen gelingt. 

Wir sind aktive und ehemalige Freiwillige aus den verschiedenen Dienstformen der Freiwilligendienste, die sich in der Kampagne “Freiwilligendienst stärken” zusammengefunden haben. Wir erleben täglich in unserem Einsatz, welchen gesellschaftlichen Mehrwert ein Freiwilligendienst schaffen kann, aber auch durch eine gute und gut ausgestattete pädagogische Begleitung dazu beiträgt, dass wir uns als junge Menschen weiterentwickeln.

Die Durchführung eines Freiwilligendienstes im In- und Ausland hat in Deutschland eine lange Tradition: Seit 1964 ist das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) gesetzlich geregelt. Das Freiwillige ökologische Jahr (FÖJ) feiert in diesem Jahr sein dreißigjähriges Bestehen und der Bundesfreiwilligendienst (BFD) besteht seit 2011.

Seit vielen Jahren engagieren sich junge und lebensältere Menschen freiwillig für die Gesellschaft. Sie gestalten das soziale Zusammenleben ganz konkret mit und bringen sich für eine gerechte, solidarische und nachhaltige Zukunft ein. 

Sie gehen in ihrem jüngsten Debattenbeitrag in der FAZ auch auf die Freiwilligendiensten ein, schreiben ihnen aber eine “brüchige Verfassung” zu. Aus ihrer Sicht verlieren die Freiwilligendienste “zunehmend an Breite, Dauer und Verlässlichkeit.”

Ihre Zuschreibung wird der engagierten Arbeit von rund einhundertausend Freiwilligen im Jahr und den unzähligen Hauptamtlichen in den Freiwilligendiensten in den letzten Jahren nicht gerecht. Vielmehr müssen wir doch anerkennen, dass die Rahmenbedingungen für Freiwillige,Träger und Einsatzstellen in den letzten Jahren immer schlechter geworden sind und gerade deshalb immer weniger Menschen aus unterschiedlichen Milieus den Weg in die Freiwilligendienste finden können. 

Wir kennen Freiwillige, die nicht einmal 300 Euro Taschengeld für ihren Freiwilligendienst in Vollzeit erhalten. Dazu kommt ein erschwerter Zugang zum Wohngeld und die wirklich ungerechte Anrechnung unseres Taschengeldes auf die Sozialleistungen und Unterhaltszahlungen unserer Familien.

Der Status quo der Freiwilligendienste ist Ergebnis der Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung und die Bundesländer geschaffen haben. Wenn wir uns für einen Moment einen finanziell nachhaltig ausgestatteten Freiwilligendienst vorstellen, der es auch jungen Menschen ohne starken finanziellen Hintergrund ermöglicht, ein Jahr einen freiwilligen Dienst für die Gesellschaft zu leisten, dann sind wir sicher, dass ein solch gestärktes System die von ihnen beschriebenen “verbindende Erfahrung” in unserer demokratischen Gesellschaft schaffen kann.

Es ist ebenso klar, dass eine soziale Pflichtzeit um ein Vielfaches teurer wäre als ein starker Freiwilligendienst. Aus der Perspektive der alltäglichen Praxis in den Freiwilligendiensten ist die Pflichtzeit ein überteuertes Unterfangen, von dem wir nicht wissen, ob es überhaupt seinen Zweck erfüllen wird und in jedem Fall einen gravierenden Einschnitt in die Lebensgestaltung von uns jungen Menschen darstellt.

Statt einer sozialen Pflichtzeit sollten wir die Politik darauf verpflichten, endlich die Potentiale eines starken Freiwilligendienstes zu nutzen. Lassen Sie uns Hürden in den Freiwilligendiensten abschaffen, für mehr Anerkennung sorgen und jedem Menschen, der sich in einem Dienst engagieren möchte, einen Platz anbieten und eine Förderung ermöglichen.

Wir sind überzeugt, dieser Weg ist der richtige Weg. Auch wenn Sie unsere Argumente nicht überzeugen, so ist es doch klar: ein starker Freiwilligendienst, so wie von uns beschrieben, ist der tatsächliche Prüfstein einer sozialen Pflichtzeit. Stärkt ein gut ausgestatteter, inklusiver und diverser Freiwilligendienst unser demokratisches Miteinander, ist er der bessere Weg.

Gerne würden wir diese Debatte mit Ihnen vertiefen und laden Sie herzlich in unsere Einsatzstellen ein. Ebenso planen wir im Rahmen unserer Kampagne “Freiwilligendienst stärken” am 21. Juni einen Aktionstag, an dem wir uns auch gerne mit Ihnen austauschen wollen, auch wenn wir natürlich wissen, dass Ihr Terminkalender eine so kurzfristige Gesprächsanfrage nur schwer zulässt.

Marie Beimen (FSJ, Nordrhein-Westfalen)

Lea Blesch (BFD, Berlin)

Marie Brennführer (BFD, Mecklenburg-Vorpommern)

Tim Helmle (FSJ, Baden-Württemberg)

Jona Preuß (FÖJ, Hamburg)

Nelly Schrader (BFD, Niedersachsen)

Moritz Willner (FSJ Kultur, Sachsen)

Für die Kampagne “Freiwilligendienst stärken”

Jetzt unterschreiben!

Unterschriften

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